Editorial

Liebe CREVELTer,

der Umgangston ist rau geworden, auch in Krefeld. Schaut man sich die Kommentare unter Social-Media-Posts an, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Menschen unter lang aufgestauten Aggressionen leiden, die nur darauf warten, sich schon beim kleinsten Anstoß entladen zu können. Altmodische Werte wie Respekt und Anstand spielen in der Online-Kommunikation anscheinend längst keine Rolle mehr. Unter dem Schutz der Anonymität werden fremde Menschen beleidigt, verhöhnt und verspottet. Die Bereitschaft, sich auf andere Standpunkte oder Meinungen einzulassen oder sie auch nur zu tolerieren, ist vielen völlig abhanden gekommen.  

Dazu passen auch die Zahlen der so genannten Mitte-Studie, die alle zwei Jahre von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt wird: So habe sich die Zahl der Deutschen, die rechtsextremes Gedankengut teilen, in den letzten zwei Jahren mehr als verdreifacht, von zwei bis drei Prozent auf acht Prozent. Jeder zwölfte erwachsene Deutsche teile demnach ein rechtsextremes Weltbild. Vernünftige Argumente, offene Kommunikation und Respekt vor dem Mitmenschen treten zurück gegenüber Polemik, Stimmungsmache oder gar unverhohlenem Hass und Gewalt. Anstatt sich zu öffnen und Grenzen zu überwinden, wie es einmal die europäische Idee war, werden Grenzen hochgezogen und der Nachbar verteufelt. Es sind Haltungen wieder salonfähig, von denen man glaubte, sie seien längst auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt worden. Sogar ein kriegerischer Überfall ist mitten in Europa wieder möglich.

Es ist richtig, dass sich die Welt derzeit im Umbruch befindet. Wo man hinschaut, sieht man Probleme, Herausforderungen, Hindernisse und Barrieren. Das Versprechen des Wohlstands, das uns seit dem Zweiten Weltkrieg den Weg ins Paradies wies, scheint geplatzt. Die Perspektiven sind für viele Menschen alles andere als rosig. Aber sollte diese Perspektive nicht dazu führen, dass wir enger zusammenrücken und zusammenarbeiten, anstatt die Ellenbogen auszufahren? Vor allem nicht gegen jene, die noch weniger haben als wir?

Lasst uns ein Beispiel nehmen an Patricia Krombach: Die 62-jährige Hartz-IV-Empfängerin lebt selbst an der Armutsgrenze, dennoch setzt sie sich seit nunmehr 20 Jahren selbstlos und aufopferungsvoll dafür ein, dass Obdach- und Wohnungslose eine Mahlzeit bekommen. Sie sagt ganz klar: „Wer an meine Tür klopft, den lasse ich herein!“. An den Jungs von HÖRZU, die nur Musik von gleichgesinnten Teenagern hörten, als sie vor rund 35 Jahren zum ersten Mal dem afroamerikanisch geprägten Hip-Hop begegneten. Oder an dem Happyologen Patrik Wenke, der dem Glück seit seinem überwundenen Schlaganfall bis nach Bhutan hinterherrennt und die dabei eingenommenen Spendengelder an Notleidende weitergibt.

In diesem Sinne: Viel Vergnügen bei der Lektüre unserer Oktober-Ausgabe.

Ihr Michael Neppeßen, David Kordes & Torsten Feuring

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